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Meine Geschichte ist auch deine Geschichte

1. Januar 1970

Wusstest du schon, dass es eine Geschichte über dein Leben gibt? Es ist wahr, denn das Leben eines jeden Menschen ist eine Geschichte. Nicht unbedingt eine, die einer geraden Linie oder irgendeiner Art von Logik folgt. Manchmal erscheint sie vielleicht gar nicht relevant, manchmal dafür umso mehr. Sie kann sich überlebensgroß anfühlen oder so klein, dass sie kaum eine Rolle spielt. Aber sie ist da. Und hat einen Kontext und eine ganz eigene, einzigartige DNA. Sie besteht aus Bildern und Worten. Einige real, andere ganz und gar imaginär. Aber vor allem besteht sie aus Emotionen.

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Written by Karolina Borg

Wenn ich mir eine Geschichte wünschen dürfte.

Wäre es die meiner Mutter. Da sie nicht mehr bei uns ist, kann ich sie nicht mehr nach den Emotionen fragen, die ihr Leben ausmachten. Du meine Güte, ja! Ich habe schon fast alles gehört. Ihre Kindheit auf dem Dorf, der große Umzug in die Stadt, die Schicksalsschläge, die sie prägen sollten. Aber wie hat sie sich gefühlt, als sie diese wichtigen Dinge erlebte? Was war das Wesentliche an den Fotos, die ich gesehen habe? Die Bilder, die sie mir gemalt hat, sind je nach ihrer Stimmung und Energie mit verschiedenen Schichten von Transparenz versehen. Ihre Geschichte voller Emotionen: Das ist es, was ich mir mehr als alles andere wünsche, denn in gewisser Hinsicht ist ihre Geschichte auch meine Geschichte.

Natürlich weiß ich, dass manche Dinge unmöglich sind.

Aber auch andere sind möglich. Und ich habe ein paar, die ich mir erhalten kann, in denen es um meine eigenen Gefühle geht. Die Zeit ist auf meiner Seite und meine Kinder sind unter meinen Fittichen (zumindest für den Moment). Also an meine lieben, geliebten Kinder, die nicht das geringste Interesse daran haben, was eure Mutter in ihrem Herzen (oder auch auf ihrer Zunge) trägt. Es tut mir leid, dass ich euch kein zauberhaftes „Mein erstes Jahr“-Buch oder ein noch zauberhafteres Sparbuch (ja, so hieß das, als ich klein war) mit einem Haufen Geld geschenkt habe, das ihr abheben könnt, wenn es Zeit ist, das Nest zu verlassen. Und es tut mir leid, dass ich immer eingeschlafen bin, wenn ich versucht habe, euch eine schöne Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen, als ihr klein wart. Aber ich werde euch etwas anderes Zauberhaftes geben. Eine DNA, die ihr selbst niemals aufspüren könntet. Mithilfe einiger Fotos gebe ich euch einen kleinen Teil meiner Geschichte und all die Emotionen, die damit verbundenen sind. Denn, auch wenn ihr das noch nicht wissen könnt: Meine Geschichte ist auch eure. Und eure Geschichte ist auch ein Teil von meiner.

Ihr werdet es verstehen, wenn ihr älter seid. Viel älter.

Viel, viel älter!

Alles Liebe von eurer Mama.

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Die Erinnerung an eine Umarmung.

Hier bin ich noch ganz klein. An genau diesen Moment kann ich mich natürlich nicht mehr erinnern. Aber irgendwo tief im Innern gibt es das Gefühl, geliebt zu werden, in den Armen eines Menschen zu liegen. Ihr wisst beide, dass Oma krank war. Fast mein ganzes Leben lang musste sie für ihres kämpfen. Ein Drittel ihres Lebens. Manchmal ging es besser, manchmal schlechter. Und das ist es wahrscheinlich, was mich als Person am meisten geprägt hat. Ihr Kranksein. Deshalb macht es mich so glücklich, Fotos zu sehen, die dieses Gefühl vermitteln. Oma hält mich in ihren Armen, und die lassen sie nicht im Stich. F und B, ich weiß noch nicht, was euch als Menschen ausmachen wird. Hoffentlich, dass ihr so brillant werdet wie ich. (Kleiner Scherz ...) Vielleicht etwas Schlimmeres, bei dem ich dann so tue, als wüsste ich von nichts, wenn ihr es als Erwachsene ansprecht. Oder es ist gar nichts Besonderes. Aber ich hoffe, dass ihr euch erinnern werdet. An das Gefühl, geliebt zu werden. Von jemandem in den Armen gehalten zu werden. Von jemandem getragen zu werden.

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Das Gefühl einer Narbe.

Hier bist du, F. Auch noch ganz klein. Du bist gerade in dieser Welt angekommen. Es war harte Arbeit für dich, herauszukommen, und das erste, was du getan hast, war, dich aus Protest an der Backe zu kratzen. Die Narbe davon trägst du bis heute. Ich liebe sie! Manchmal fällt sie mir ins Auge und ich verliere mich in der Zeit. Du bist so erwachsen. Bald wirst du in deinem eigenen Leben verschwinden. Aber wir tragen unsere Narben immer mit uns. Die inneren wie die äußeren. Denk daran, dass sie nicht immer schlecht sind. Unsere Narben. Viele von ihnen haben uns etwas Schönes von unserem Leben zu erzählen.

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Die Bedeutung einer Weste aus falschem Wildleder.

Hier sind wir, Du und ich, B. Beide (in meinem Fall Äonen) jünger, als wir es heute sind. Was für ein schwindelerregender Gedanke, wenn wir uns dort treffen könnten. Gleichaltrig. Das wäre doch etwas?! Ich kann mich noch genau an das Gefühl der Kleidung erinnern, die ich trug. Als wäre es gestern gewesen. Es war eine Kombi aus Rock und Weste. Darunter ein Hemd. Das weiche Gefühl des falschen Wildleders auf meinen Fingerspitzen. Ich glaube, das ist meine früheste Kleider-Erinnerung. Alles daran flüsterte zu mir. Und verriet mir, wie ich mich so fühlen kann, wie ich möchte. Also B, wenn du jede einzelne Naht an dem, was du trägst, spürst; wenn du stundenlang vor dem Spiegel Outfits anprobierst; und wenn du diese Schuhe einfach brauchst (!!!), um dich vollkommen zu fühlen – dann weißt du: Das hast du von mir. Das ist nichts, wofür man sich schämen muss. Es ist nicht oberflächlich. Es geht um dich und um das Gefühl, du selbst zu sein. Ich weiß, dass dieses Jeanshemd eine deiner ersten Kleider-Erinnerungen ist. Du hast es geliebt. Ja, vielleicht auch dich selbst darin geliebt.

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Erinnerung an ein Zuhause.

Ihr wisst beide, dass ich früh angefangen habe, Tennis zu spielen. Sehr früh. Und dass ich ziemlich gut darin wurde. Ich will nicht angeben. ABER ... ja, es stimmt, ich gehörte zu den zehn besten Spielerinnen im ganzen Land. Wie auch immer. Lange Zeit war das ein großer Teil meines Lebens: die Tennissaiten an meinen Fingern, der gelbe Ball und der Griff meines Schlägers fühlten sich an, als wären sie in mich eintätowiert. Auch heute noch, wenn ich einen Tennisplatz betrete, den Filz rieche und höre, wie ein Ball auf einen Schläger trifft, fühle ich mich wie zu Hause. Aber eines Tages war es, als wäre alles stehen geblieben. Und ich habe aufgehört. Ich erinnere mich, dass es sich anfühlte, als würde ich aufgeben, und in gewisser Weise fühlte es sich an, als würde ich ein Zuhause verlieren. Aber so war es nicht. F und B. Es gibt viele Orte, die sich im Laufe des Lebens wie ein Zuhause anfühlen, aus denen man aber herauswächst, auch wenn man sie nie ganz verlässt. Wenn ihr also mal im Zweifel seid: Denkt daran, dass Aufhören nicht gleich Aufgeben bedeutet. Etwas zu beenden, bedeutet auch, etwas Neues zu beginnen. Und nichts ist und war jemals umsonst. Alles schafft Räume, in die ihr hineintreten könnt, wann immer euch danach ist.

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Angst vor der Angst.

Der erste Schultag in der ersten Klasse. Das bin ich an meinem ersten Schultag, aber auch am Anfang eines neuen Lebens. Vielleicht sehe ich glücklich und aufgeregt aus, denn das wird doch von uns auf Fotos erwartet, oder? „Lächle in die Kamera!“ Aber eigentlich habe ich mir fast in die Hosen gemacht vor Angst. So würde ich das beschreiben. Es gibt verschiedene Arten von Angst im Leben. Aber im Nachhinein habe ich gelernt, dass nichts wirklich schlimmer ist als die Angst vor der Angst. Die ist lähmend. Was nach der Angst passiert, ist nie so gefährlich wie die Angst selbst. F und B, ich habe hart daran gearbeitet, im Leben furchtloser zu sein. Ich weiß nicht, wie gut mir das gelungen ist, aber ich weiß, dass ich meine Ängste nicht an euch weitergegeben habe. Ihr seid beide so mutig, wenn auch auf ganz unterschiedliche Weise. Auch wenn Furchtlosigkeit nicht der Schlüssel zu allem ist: Die Angst ist eine Art Schloss. Niemand von uns hat den Schlüssel zu allem, aber sich in Angst zu verschließen, bringt nichts. (Davon abgesehen würde ich euch natürlich am liebsten für immer einsperren, damit euch nie etwas Schlimmes passiert.) Und das bringt mich zu meiner Teenagerzeit. Das Alter, in dem ihr beide jetzt seid. Es gibt viele wenig schmeichelhafte Dinge über meine Teenagerzeit zu sagen. Aber das heben wir uns für das nächste Buch über Mamas Gefühle auf. Denn es gibt kein Entrinnen aus meiner Geschichte. Ich möchte euch alles erzählen.

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Die Dinge können auf hundert verschiedene Arten aussehen. Und sich auf tausend verschiedene Arten anfühlen. Sie zu bewahren, ist das Schönste, was man jemandem schenken kann. Denn deine Geschichte ist die Geschichte eines anderen Menschen, der vielleicht Antworten auf Fragen sucht, die nie gestellt werden konnten.

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