1. Januar 1970
In unserem letzten Sommerurlaub gab es eine Situation, die bezeichnend ist für eins der größten Streitthemen zwischen meinem Partner und mir: Das Fotografieren.
Written by Jana Heinicke
Wir verbrachten unseren Urlaub in Österreich, an einem wunderschönen klaren See, umringt von Bergen, Wiesen und Wäldern. An diesem Tag hatten wir uns ein Tretboot ausgeliehen, um damit über den See zu fahren.
Das Boot, das wir bekamen, war knallrot und hieß „Mausi“. Jemand hatte den Namen mit großen weißen Buchstaben auf den roten Lack geschrieben.
Die Sonne schien, das Wasser glitzerte und es wehte ein leichter Sommerwind. Ich sah zu, wie mein Mann mit unserem Kind vor dieser malerischen Kulisse herumalberte.
Und natürlich hoffte ich, dass auch mein Mann von mir und unserem Kind Bilder machen würde. Keine von den gestellten, sondern welche, die aus dem Augenblick heraus entstehen. Welche von den besonderen, den echten, auf denen sich wirklich eine Geschichte abspielt.
Ich dachte: Siehst du nicht, wie bezaubernd der Moment ist? Das Licht war perfekt, die Farben waren perfekt – ich trug meinen neuen Bikini fühlte mich, das erste Mal seit der Geburt unseres Kindes, wieder wohl in meinem Körper – sogar richtig schön. Ja, der ganze Moment war fast zu schön, um wahr zu sein. Aber mein Mann machte keine Fotos.
„Der Moment voller Leichtigkeit und Schönheit, den ich gerne fotografiert haben wollte, war nun sowieso vorbei."
Irgendwann war ich genervt – und sprach es an: „Warum denkst du nicht einfach daran, ohne, dass ich dich erinnern muss“, fragte ich.
Und so kippte die Stimmung. Und ich war noch genervter, denn der Moment den ich gerne fotografiert haben wollte, war nun sowieso vorbei.
Als wir schon auf dem Rückweg waren, machte mein Mann dann doch noch ein Foto von unserem Kind und mir. Es war ein Schnappschuss, mit dem ich nicht gerechnet hatte – und als mein Mann das Foto auf dem Display seines Handys sah, lachte er laut auf. Ich war verunsichert und fragte, warum er so lachte, aber er meinte nur: „Das wirst du dann schon sehen.“ Wir legten am Steg an und gingen an Land und als wir wenig später in einem Café saßen, schaute ich mir die Fotos auf seinem Handy an – und begann, vor Wut zu weinen. „Willst du mich eigentlich demütigen“, fragte ich, „warum musst du ausgerechnet aus diesem Winkel fotografieren?“ Alles, was ich auf dem Bild sah, waren mein Doppelkinn und meine Speckrollen, welche mein Mann von schräg unten fotografiert hatte. Ich fühlte mich elendig. Und ich so stritten wir.
„Ich sehe dich jeden Tag“, sagte mein Mann, als wir uns beide wieder etwas beruhigt hatten. „Und vermutlich fällt es dir schwer zu glauben, aber ich achte nicht auf deine angeblichen Schönheitsideale. Ich habe gelacht, weil die Szene so einmalig war, weil ihr beide cool geguckt habt, weil im Hintergrund die Berge waren – und vor allem, weil irgendjemand tatsächlich auf die Idee gekommen ist, sein Tretboot „Mausi“ zu nennen. Ich dachte, du wolltest, dass ich den Moment einfange. Wenn du eine perfekte Inszenierung deiner selbst für Social Media willst, musst du das schon dazu sagen.“
„Wie konnte es sein, dass ich statt unserem coolen Kind, der wirklich urlaubigen Stimmung und der Schönheit des Moments nur meine eigenen Speckrollen im Blick hatte?"
Aber ich sagte erstmal nichts mehr – denn das hatte gesessen. Auch wenn es schwerfiel, mir dasAber ich sagte erstmal nichts mehr – denn das hatte gesessen. Auch wenn es schwerfiel, mir das einzugestehen, hatte er recht: Insgeheim wollte ich nicht nur ein Foto, das die Magie des Moments einfängt, sondern ich wollte darauf auch gut aussehen. Ich wollte aus dem richtigen Winkel fotografiert werden, um das Bild später auf Instagram posten zu können. Und es machte mich plötzlich traurig, mit was für einem unrealistischen Filter ich durch die Welt lief. Wie konnte es sein, dass ich statt unserem coolen Kind und der Schönheit des Moments nur meine eigenen Speckrollen im Blick hatte?
Was ist das für eine toxische Konditionierung, die ich mir durch meine Arbeit mit dieser App angeeignet hatte? Eine App, in der ständig alle von Selbstliebe und Selbstakzeptanz faseln - und in der dann doch nur normschöne Protagonist*innen im idealen Licht und im perfekten Winkel fotografiert, zu sehen sind.
Ich saß an diesem Abend lange auf dem Balkon und machte mir Gedanken zu unserem Streit, aber auch darüber, wie ich mich auf Social Media darstellte, nach. Und irgendwann dachte ich: „Am Arsch, Authentizität, Selbstliebe und Achtsamkeit auf Instagram! Zumindest, wenn zwischen all den auf Hochglanz polierten, perfekt inszenierten Bildern aufgrund von irgendwelchen Speckrollen kein Platz ist, für einen Urlaubsschnappschuss ist.“
Also postete ich das Foto. Und Überraschung: Niemand außer mir sah die Speckrollen. Alle freuten sich über so ein schönes Urlaubsbild.
PS: Mein Mann fotografiert unser Kind und mich inzwischen regelmäßig. Er hat sich eine alte Analogkamera gekauft, entwickelt die Fotos selbst und scannt sie ein. Das macht ihm mehr Spaß, als mit dem Handy zu knipsen. Und ich muss ihn nicht mehr auffordern, ans Fotografieren zu denken.